Goltsch-Jenikau (Böhmen)

ČaslauDas ostböhmische Goltsch-Jenikau ist die nur wenige Kilometer südöstlich von Caslau (Čáslav) gelegene heutige tsch. Kleinstadt Golčův Jeníkov mit derzeit ca. 2.500 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Tschechien' mit Golčův Jeníkov rot markiert, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts betrug der jüdische Bevölkerungsanteil im Ort fast 30%.

Bereits am Anfang des 14.Jahrhunderts sollen sich in Goltsch-Jenikau die ersten Juden aufgehalten haben; vermutlich bildete sich schon damals eine Gemeinde; schriftliche Belege dafür existieren aber heute nicht mehr, da Großbrände in der Vergangenheit wertvolle Aufzeichnungen vernichtet haben. Sichere Angaben über die Existenz einer jüdischen Gemeinde in der Stadt stammen erst aus der Zeit unmittelbar nach Ende des Dreißigjährigen Krieges (erster Nachweis in einer Steuerliste von 1654). Die Juden des Städtchen wohnten ghettoartig im „Judenviertel“. Neben einigen Bethäusern gab es hier auch eine Jeschiwa, aus der bekannte Gelehrte hervorgingen, so z.B. Isaac Mayer Wise (1819-1900), der Begründer des amerikanischen Reformjudentums.

Als um 1680 in der Stadt die Pest grassierte, wurden die hier lebenden Juden gezwungen, die Stadt zu verlassen; sie ließen sich in einem nahen Waldgebiet nieder und errichteten hier eine kleine Siedlung. Ihre spätere Rückkehr in die Stadt mussten sie sich teuer erkaufen.

Eine neue Synagoge im neuromanischen Baustil - mit orientalischen Elementen versehen - wurde 1870/1871 gebaut (1873 eingeweiht) und ersetzte an gleicher Stelle einen älteren Tempel, der einem Schadensfeuer zum Opfer gefallen war. Zum Zeitpunkt der Einweihung des Synagogenneubaus war die Zahl der Gemeindeangehörigen bereits deutlich zurückgegangen.

   

Synagoge in Goltsch-Jenikau (hist. Aufn., um 1910/20)  und  Aron-ha-Kodesch (hist. Aufn.)  

Etwa ein Jahrhundert lang (von 1797 bis 1907) bestand im Ort eine deutsch-jüdische Schule.

Bereits sehr früh soll eine jüdische Begräbnisstätte angelegt worden sein. Der noch heute existierende Friedhof mit einem Taharahaus stammt aber erst aus der Zeit des ausgehenden 17.Jahrhunderts; die ältesten Grabsteine datieren aus den Jahren nach 1700 und tragen Inschriften in hebräischer, deutscher und tschechischer Sprache.

 https://www.infocenters.co.il/gfh/multimedia/GFH/0000098975/0000098975_1_web.jpg alte Grabsteine (Aufn. aus: Ghetto Fighters house)

Juden in Goltsch-Jenikau:

    --- 1724 ............................  28 jüdische Familien,

    --- 1793 ............................  49     “       “    ,

    --- 1842 ............................ 613 Juden (ca. 28% d. Bevölk.),

    --- 1880 ............................ 443   “   (ca. 17% d. Bevölk.),

    --- 1931 ............................  79   “  .

Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), S. 438

Schloss und Städtchen Goltsch-Jenikau um 1825 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Ihren zahlenmäßigen Zenit erreichte die Judenschaft in Goltsch-Jenikau in den beiden Jahrzehnten vor 1850. Mit der ab 1860 einsetzenden Abwanderung der jüdischen Bevölkerung in die größeren Städte begann der schnelle Niedergang der Gemeinde, die bis 1930 noch einen Rabbiner besaß. 

Während des Ersten Weltkrieges richteten galizische Flüchtlinge in der Stadt einen eigenen Betraum ein. Mitte der 1930er Jahre lebten dann nur noch wenige Familien in Goltsch-Jenikau; sie wurden zumeist Opfer der Shoa.

 

Nach Kriegsende kehrten einige überlebende Juden hierher zurück, doch eine Wiederbelebung der israelitischen Gemeinde erfolgte nicht.

Der ehemalige jüdische Wohnbezirk - hier sollen früher auch christliche Familien gelebt haben - ist baulich weitestgehend in seinem Originalzustand erhalten.

Das heute noch verbliebene Synagogengebäude wurde jahrelang als protestantische Kirche genutzt und dient derzeit dem Staatlichen Jüdischen Museum als Außenstelle bzw. Archivraum. Während der 1990er Jahre wurde das Gebäude umfassend restauriert.

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Ehem. Synagogengebäude (Aufn. Petr, 2022, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Der seit 1958 unter Denkmalschutz stehende jüdische Friedhof gehört zu einem der ältesten in Böhmen. Auf einer Fläche von mehr als 7.000 m² sind ca. 1.500 Grabstätten zu finden; der älteste Grabstein datiert von 1706; die letzten Begräbnisse fanden hier in den 1930er Jahren statt.


Friedhofstor (Aufn. P., 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und  Divad 2023, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Der bekannte Judaist Friedrich Thieberger wurde 1888 in Goltsch-Jenikau geboren.

 

 

In der kleinen Ortschaft Habern (tsch. Habry, derzeit ca. 1.300 Einw.) – nur wenige Kilometer südlich von Goltsch-Jenikau bzw. ca. 15 Kilometer südöstlich von Caslau/Čáslav - bestand eine israelitische Gemeinde, deren Wurzeln im 17.Jahrhundert zu suchen sind - anderen Angaben zufolge sogar bis ins 14.Jahrhundert zurückreichen. Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der Gemeindeangehörigen ca. 300 Personen; ihre Angehörigen bestritten ihren Lebensunterhalt zumeist als Kleinkaufleute und Handwerker.

Doch schon wenige Jahrzehnte später waren die meisten Juden abgewandert; die Gemeinde wurde offiziell 1898 aufgelöst. Die verbliebenen jüdischen Bewohner wurden der israelitischen Gemeinde von Jenikau angeschlossen.

Ein Mitte der 1820er Jahre erbautes Synagogengebäude (es ersetzte einen älteren Vorgängerbaus aus dem 17.Jahrhundert), das bis um 1930 in Nutzung war, ist derzeit noch vorhanden.

 Ehem. Synagogengebäude in Habern/Habry (Aufn. P., 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Eine dreiklassige jüdische Elementarschule, in der Deutsch als Unterrichtssprache galt, bestand bis um 1870.

Juden in Habern:

--- 1848 ....................... ca. 120 jüdische Familien,

--- 1893 ........................... 143 Juden,

--- 1921 ...........................  74   “  ,

--- 1930 ...........................  28   “  .

Angaben aus: dbs.bh.org.il/place/habry

Anfang der 1930er Jahre lebten im Dorf noch ca. 25 jüdische Bewohner; sie wurden zumeist Opfer der Shoa.

Zunächst als Domizil der "Evang. Kirche der Böhmischen Brüder" genutzt befand sich in den 1970er Jahren im ehemaligen Synagogengebäude ein Kinosaal. Heute befindet sich das z.Zt. ungenutzte Haus im Besitz der jüdischen Gemeinde von Prag, die zukünftig eine Restaurierung plant.

Westlich des Ortes befindet sich der im ausgehenden 17.Jahrhundert angelegte jüdische Friedhof. War das Gelände zunächst angepachtet, so ging es um 1750 ins Eigentum der jüdischen Gemeinde über. Auf dem seit 1988 als "geschütztes Kulturdenkmal" eingestuften ca. 2.600 m² großen Areal befinden sich heute noch mehr als 200 Grabsteine.

Židovský hřbitov v Habrech 03.jpgŽidovský hřbitov v Habrech 09.jpg

Jüdischer Friedhof in Habry (Aufn. Petr, 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)  

 

 

Weitere Informationen:

Jan E. Maximovic (Bearb.), Goltsch-Jenikau, in: Hugo Gold (Hrg.), Židé a židovské obce v Cechách v minulosti a prítomnosti, Židovské nakladatelství, Brno - Praha 1934, S. 152 - 157

Jan Herman, Jewish Cemeteries of Bohemia and Moravia, o.O. 1980

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 438

The project seeks to list representatives of the Jewish families from the Bohemian town of Golčův Jeníkov (Goltsch Jenikau) in the Czech Republic

The Jewish Community of Golčův Jeníkov (Goltsch-Jenikau), Hrg. Beit Hatfutsot - The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/golcuv-jenikov

Jewish Families from Golčův Jeníkov (Goltsch Jenikau ), Bohemia, Czech republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Golčův-Jeníkov-Goltsch-Jenikau-Bohemia-Czech-Republic

The Jewish Community of Habry (Habern), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/habry